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Archivalie – Juni 2023

Lingener Apotheken

Blick in eine Apotheke. Ausschnitt aus dem Titelblatt des Preußischen Medizinaledikts von 1704.

Erste Hinweise auf eine Apotheke in Lingen stammen aus oranischer Zeit. Der wohl aus den Niederlanden stammende Lambertus Bannier legte in den 1630er Jahren seinen Bürgereid ab und trat zunächst als „Apteker“, später aber als Stadtsekretär in Erscheinung. Sein Nachfolger, der reformierte „Apothecarius“ Franciscus Hugo, war seit spätestens 1641 in Lingen tätig. Hugo wohnte zunächst zur Miete, kaufte sich dann aber ein standesgemäßes Haus. 1648 forderte er von der Stadt die ihm vor Jahren bei seiner Niederlassung zugesagten Freiheiten. Nach seinem Tod 1671 wurde die Apotheke schließlich geschlossen.

1676 aber bewarb sich der Osnabrücker Hendrick Roedolph van Essen als neuer Apotheker. Er könne, obwohl noch jung an Jahren, bereits 15 Jahre Erfahrung vorweisen, sei unter anderem in Frankreich und Italien tätig gewesen und verfüge über eine wohlausgerüstete Apotheke. Der Magistrat wusste sehr wohl, dass „oftmals die Kranken eher und bevor die Medikamente von anderen Orten kommen, durch Tod weggenommen werden können“, und so förderte er seine Niederlassung mit den gleichen Freiheiten, wie sie die eingegangene Apotheke von Hugo genossen hatte. 1690 wehrte sich van Essen gegen die Konkurrenz von „Krämern“ und „Winkeliers“. Er erreichte, dass es den Lingener Kaufleuten fortan verboten war, bestimmte Waren und Medikamente zu verkaufen. Dazu gehörten etwa Sennesblätter, Aloepflanzen, Koloquinten, Antimon, Absinthextrakt, Theriak, Anisöl, Bernstein, Therebinth, Arsenik, Wurmkraut, Hustenwasser und Augensalben. Van Essen, der zeitweise auch als Bürgermeister amtierte, starb 1696. Im Jahr darauf heiratete seine Witwe Christina Catharina Schütts den Herforder Apotheker Israel Hapchen, doch starb sie nach nur wenigen Monaten Ehe. Hapchen kehrte wieder nach Herford zurück, und die Apotheke wurde geschlossen.

Im Jahre 1700 erhielt Bernhard Hüllesheim von Wilhelm III. von Oranien das Privileg, in Lingen eine Apotheke zu führen. Ihr Einzugsbereich war die gesamte Grafschaft Lingen, und Hüllesheim wurde zugesichert, dass in den nächsten 25 Jahren keine weitere Apotheke öffnen dürfe. 1718 wurde sein Privileg, nunmehr unter preußischer Herrschaft, von König Friedrich Wilhelm I. erneuert. Auch Bernhard Hüllesheim erreichte das Bürgermeisteramt. Sein Sohn Johann Bernhard Hüllesheim studierte an der Hohen Schule Medizin bei Professor Heinrich Wilhelm Lüning, der auch als Hofrat und Bürgermeister wirkte. J. B. Hüllesheim heiratete 1725 Lünings einzige Tochter Sophia Elisabeth, wurde angesichts der vielfältigen Verpflichtungen seines Schwiegervaters 1726 außerordentlicher Professor und übernahm 1738 Lünings Medizinprofessur. Spätestens Mitte des 18. Jahrhunderts besaß er die Häuser am Markt 9 und das dahinter liegende Haus Schlachterstraße 5. Da hier auch eine Witwe van Essen nachweisbar ist, darf man wohl von einer gewissen Kontinuität der Apotheke an diesem Ort ausgehen. J. B. Hüllesheim führte die Apotheke allerdings nicht selbst, sondern ließ sie durch den Provisor Johann Friedrich Pohlmann verwalten. Ausgerechnet Pohlmann war es, der erstmals versuchte, in Lingen eine zweite Apotheke zu eröffnen. Dabei wagte er auch, den seiner Meinung nach zu nachsichtigen Umgang des Bürgermeisters Lüning mit seinem Schwiegersohn zu kritisieren. Sein Ersuchen wurde abgelehnt. 1765 wurden die Privilegien der Apotheke – vorbehaltlich einer neu zu errichtenden Apotheke in Ibbenbüren – von Friedrich II. erneuert. J. B. Hüllesheim starb 1780.

1783 übernahm sein Enkel Wilhelm Bernhard Heinrich Donckermann die Apotheke. Anfang der 1790er Jahre zog er quer über den Marktplatz in das Haus Am Markt 20 – das einstige Wohnhaus seines Urgroßvaters Bürgermeister Lüning – das er 1796 renovieren ließ. Donckermann, mehr Geschäftsmann als Apotheker, gründete 1802 eine weitere Apotheke in Freren, dann in Nordhorn, Oldenzaal und Enschede. In Lingen führte er außerdem das Gast- und Kaffeehaus „Zum Kaiser“. Die Lingener Apotheke, lediglich von einem Gehilfen verwaltet, verfiel zunehmend. Um 1812 gab Donckermann das Haus Am Markt 20 auf und zog in die Elisabethstraße 18/20/22.

Die Unzufriedenheit mit Donckermanns Apotheke war indes so groß geworden, dass einige Bürger den früheren Provisor Jacob Muhle ermunterten, eine zweite Apotheke zu eröffnen. Allen Protesten Donckermanns zum Trotz bewilligte die französische Obrigkeit 1812 erstmals eine zweite Apotheke in Lingen. Muhles Apotheke befand sich zunächst wohl in der Burgstraße 19, zog um 1820 aber an den Marktplatz, Ecke Bauerntanzstraße (Am Markt 4). Als Donckermann 1821 starb, wollte Muhle auch dessen Apotheke übernehmen. Doch die Witwe Donckermann verkaufte lieber an Ludwig Müller, der die Apotheke schnell wieder zu Ansehen brachte. Nach dem Tod Muhles wurde die Konzession für eine zweite Apotheke 1830 wieder eingezogen, und damit war die alte Apotheke wieder konkurrenzlos.

1844 verkaufte Müller an Karl Ludwig Eduard Neumann aus Lichtenberg (Braunschweig), der 1879 wiederum an Ludwig Stoeve verkauft. Nach dessen Tod übernahm 1919 sein Sohn Dr. Hans Stoeve die Apotheke. 1921 wurden die Immobilien in der Elisabethstraße an die Stadt verkauft, und die Apotheke zog spätestens jetzt zum Markt 1 („Marktapotheke“). 1936 ging sie an Gottfried Steinhoff über. Das Monopol ließ sich allerdings nicht länger halten. 1934 eröffnete der Apotheker Gittner – ebenfalls am Marktplatz – die Ankerapotheke. 1935 weigerte sich Gittner, anlässlich eines Besuches Bischof Bernings sein Haus zu schmücken, und zog sich damit den Unwillen vieler Lingener zu. Wegen wirtschaftlicher Probleme verkaufte er 1936 an Paul Holzhaus. Später entstanden weitere Apotheken, so etwa 1952 die Mohrenapotheke in der Lookenstraße, 1957 die Pelikanapotheke in der Waldstraße und 1958 die Burgapotheke in der Burgstraße.

 

Quellen und Literatur

 

  • StadtA LIN, Allg. Slg., Nr. 299, Nr. 667.
  • StadtA LIN, Altes Archiv, Nr. 2726, Nr. 2745, Nr. 5389.
  • StadtA LIN, Bestand Schelm, Nr. 29, Foto 12799.
  • StadtA LIN, Fotoslg., Nr. 2807, Nr. 20218.
  • StadtA LIN, Gen. Slg., Nr. 62, Eintrag 740.
  • StadtA LIN, Lingener Tagespost vom 13.8.1960 und 1.10.1965.
  • Eiynck, Andreas: Markt 20. Ein Haus erzählt Geschichte(n). Von altem Fachwerk, Lingener Bürgern und Theo Lingen, Lingen (Ems) 2005.
  • Hagel, Annette: Die Hohe Schule zu Lingen an der Ems (1698-1820) in medizinhistorischer Sicht. Lebenswege Lingener Medizinprofessoren und Medizinstudenten (Diss.), Bochum 1990.
  • Schröter, Hermann: Die Geschichte der Apotheken der Stadt Lingen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 64 (1950), S. 146-158.
  • Tenfelde, Walter: Die Grabplatten der Stadt Lingen. Eine familiengeschichtliche Abhandlung, Lingen-Ems 1950.

 

 



Artikeldatum: 3. Juni 2023
Fotos v.o.n.u.: © Stadtarchiv Lingen, © Stadtarchiv Lingen, © Stadtarchiv Lingen, © Stadtarchiv Lingen