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Marienberg: Wenn aus dem Ich ein Wir wird

Die Stadt Lingen und ihre Partnerstädte – fünf Länder, fünf Geschichten, eine Gemeinschaft
Karl-Heinz Grönnebaum erinnert sich noch genau an den Tag, an dem er zum ersten Mal Marienberg besucht hat. Diesem Besuch sollten viele weitere folgen.

Mit fünf europäischen Städten führt die Stadt Lingen seit vielen Jahren in enger Verbundenheit Städtepartnerschaften. Darunter Elbeuf sur Seine in Frankreich, Burton upon Trent in England, Bielawa in Polen, Marienberg in Deutschland und Salt in Spanien. So individuell wie die Länder und Städte selber sind auch die Geschichten über die jahrelangen Freundschaften ihrer Bewohner untereinander.

Südöstlich von Chemnitz im sächsischen Erzgebirgskreis liegt Marienberg. 24 Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Stadt und Lingen ihre Städtefreundschaft am 21. Juni 1996 besiegelt haben. Seitdem ist viel passiert: über Höhen und Tiefen hin zu einer tiefen Verbundenheit.

Er ist ein Tag zum Frösteln, der 5. Februar 1990. In Marienberg wird die Temperaturanzeige an diesem Montag im Durchschnitt kaum die Marke von sechs Grad Celsius knacken. An Sonnenschein ist nicht zu denken. Immerhin ist es trocken. Ein Mercedes hält am späten Nachmittag vor dem damals einzigen Hotel im Zentrum der Stadt. Vier Personen entsteigen dem Fahrzeug. 606 Kilometer hat die kleine Besuchergruppe aus Lingen zurückgelegt. Ihr Ziel: Die potenzielle zukünftige Partnerstadt im Erzgebirge in Augenschein zu nehmen. Mit von der Partie ist auch der damalige Hauptamtsleiter, Karl-Heinz Grönnebaum.

Zwischen Ost und West

Der Pensionär erinnert sich noch genau an diesen Tag, an dem er zum ersten Mal im Auftrag des Stadtrates einen Fuß auf marienbergischen Boden gesetzt hat. Damals, vor 30 Jahren. Kurz nach der Wiedervereinigung. Mit der Braunkohle, die aus den Schornsteinen steigt. Den Zweitakt-Trabis, deren Abgase in Luft und Nase hängenbleiben. Oder den Gaststätten, deren Türen bereits um 20 Uhr schließen. Und nicht zuletzt dem alten Rezeptionisten, der die Besucher mit einem: „Wo kommen Sie her? Aus dem Westen? Das wird teuer!“, begrüßt, ehe er in Zimmer führt, in denen die Zeit stillzustehen scheint.

„Das war die Mangelwirtschaft“, erklärt Karl-Heinz Grönnebaum die damalige Situation. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hatte in Marienberg deutlich ihre Spuren hinterlassen. Das Prinzip des Sozialismus. Verstaatlichte Wirtschaft und Privateigentum. Spitzel der Stasi (Staatssicherheit). Fehlende Rechtssicherheit nach westlichem Standard. Vom einstigen Reichtum der Stadt Marienberg durch den Bergbau war nicht mehr viel übrig geblieben. Zu groß war der Renovierungsbedarf der gesamten Infrastruktur.

Gemeinsam stark

Doch mit Anbeginn der Annäherung zu Lingen und nicht zuletzt der Besiegelung der Städtefreundschaft im Jahr 1996 sollte sich in Marienberg einiges ändern. „Die Marienberger waren schon immer sehr offen, herzlich und vor allem kreativ. Der eigenen Probleme waren sie sich bewusst und haben unsere Unterstützung deshalb angenommen“, erklärt Grönnebaum, der in der Anfangszeit etwa alle drei Wochen im Erzgebirge war. Mit gemeinschaftlicher Kraft sollte Marienberg wieder seinen ursprünglichen Glanz zurückerhalten. Vonnöten waren dafür nicht nur materielle Güter, wie etwa die Ausstattungen für Krankenhaus oder Feuerwehr, die von den Lingenern zur Verfügung gestellt wurden. Noch viel wichtiger: Die Unterstützung durch Erfahrung und Wissen. „Wie führe ich eine Ratssitzung? Welche technische Ausrüstung ist wichtig? Wie stelle ich einen Haushaltsplan auf? Bei all diesen Fragen hat die Stadt Lingen beraten“, legt Grönnebaum dar. Erreicht habe man das vor allem durch den intensiven Austausch. „Viele Marienberger sind in Lingen ausgebildet worden. Und auch die Lingener konnten von der Kreativität der Marienberger profitieren“, so der Pensionär weiter.

Der Einsatz zahlte sich aus. Die Stadt im Erzgebirge ist in ihrer heutigen Pracht nicht mehr wiederzuerkennen. Der gravierende Unterschied zwischen Ost und West ist ausgeglichen. „Marienberg hat eine einzigartige Entwicklung genommen. Hut ab, dass die Marienberger so schnell auf die eigenen Beine gekommen sind“, erklärt Grönnebaum. Innovatives Denken in allen Belangen – das sei es, was die Einwohner auszeichne. So ist auch in den vergangenen 30 Jahren kein Jahr verstrichen, in dem der 72-Jährige sich nicht auf den Weg nach Sachsen gemacht hat. Marienberg ist seine zweite Heimat geworden, liebgewonnen durch die starke Verbindung zwischen zwei Städten und deren Bewohnerinnen und Bewohnern. „Das ist so wie in jeder Partnerschaft oder Freundschaft. Da gibt es ganz tolle Zeiten, mit Schmetterlingen im Bauch und die schwierigen Zeiten. Und nur das macht es aus. Eine Städtefreundschaft ist nichts anderes, als von einem Ich zu einem Wir zu werden.“



Artikeldatum: 14. Januar 2021
Fotos v.o.n.u.: Stadt Lingen, Stadt Marienberg, Stadt Marienberg, Stadt Marienberg