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Archivalie - Dezember 2014

Die Anfänge der Bürgersöhne
Zum 550jährigen Jubiläum der Kivelinge. Notgeldschein aus dem Jahre 1922. (Stadtarchiv Lingen, Sammlung Notgeld, Nr. 1)

Ende des 14. Jahrhunderts geriet die Grafschaft Tecklenburg, zu der auch Lingen gehörte, in eine schwere Krise. Bereits seit den 1320er Jahren schnürten münsterische Märkte und Burgen das tecklenburgische Territorium immer mehr ein. Die Streitigkeiten gipfelten 1379 schließlich in einem Bündnis der Bischöfe von Münster, Osnabrück und Paderborn gegen die Tecklenburger. In den folgenden Jahren wurde auch Lingen belagert und erobert. Schließlich unterwarf sich Graf Nikolaus von Tecklenburg bedingungslos und musste in einem am 25. Oktober 1400 in Münster geschlossenen Friedensvertrag auf einen Großteil seines Landes verzichten.

Damit endete eine Fehde, die traditionell mit einem besonderen Ereignis der Lingener Stadtgeschichte in Verbindung gebracht wird: der Gründung der Bürgersöhne oder Kivelinge. Die Überlieferung will, dass während der Belagerung der Lingener Burg die Bürger der Stadt zu Hilfe eilen mussten. Doch es gab nicht ausreichend wehrfähige Männer. Deshalb wurden als letzte Reserve die unverheirateten Bürgersöhne unter Waffen gestellt. Ihnen soll es gelungen sein, die Belagerer in die Flucht zu schlagen. Als Dank erlaubte der Magistrat den Bürgersöhnen, mit Unterstützung der Stadt alle drei Jahre ein Fest zu feiern. Stattgefunden haben soll die Gründung der Bürgersöhne im Jahre 1372. Und entsprechend feierte man zum Beispiel 1922 ihr 550jähriges Jubiläum mit der Herausgabe eines eigenen Notgeldscheins. In der Tat enthält bereits das 1786 angelegte Kompagniebuch der Bürgersöhne in einem Eintrag von 1872 die Vermutung, die Bürgersöhne seien 1372 gegründet worden.

Den ersten eindeutigen Nachweis über die Existenz der Bürgersöhne liefern allerdings erst die städtischen Kämmereirechnungen der 1550er Jahre. Noch bevor die Register aber die Bürgersöhne erwähnen, nennen sie die Lingener Bürgerschützen, und zwar erstmals in einem Eintrag aus dem Rechnungsjahr 1549/50: „Item den gemeinen Schützen zur Verehrung gegeben einen Schnapphahn – 4 Schillinge“. Als Schnapphahn bezeichnete man ursprünglich einen Raubritter. Das, was die Schützen bekamen, war allerdings eine bestimmte Münze, die im Volksmund Schnapphahn genannt wurde, weil sie einen Reiter mit Schwert zeigte, den das Volk als Raubritter interpretierte. Tatsächlich handelte es sich um den Herzog Karl von Geldern.

Doch ein Schnapphahn war nicht das einzige, was die Bürgerschützen aus der Stadtkasse bekamen. 1550/51 erhielten sie zum Vogelschießen („ton vogell scheyten“) eine Tonne Bier, und als der Schütze Kerstyen Kremer im selben Jahr wohl der erste bekannte Schützenkönig wurde, übergab ihm die Stadt ein „beneth“, einen mit bunten Bändern versehenen Schützenhut. Dasselbe Geschenk bekam der Schmiedemeister Johan Pryns, als er 1553/54 den Vogel abschoss („den vogel affschoyt“). Dass der Schützenkönig von der Stadt einen Schützenhut bekam, geschah nach altem Brauch („na olden gebruyck“) und lässt auf ein entsprechendes Alter der Bürgerschützen schließen.

Im Register von 1557/58 erscheinen erstmals auch die Bürgersöhne mit einem eigenen Eintrag:
Item den junge(n) schutthe(n), Item die jungen Schützen,
alse der borgerkyndere(n), also die Bürgerkinder,
beeret myt ½ t(unne) beers beehrt mit ½ Tonne Bier
f(acit) – 1 m(a)rck macht – 1 Marck
Zur Verteidigung der Bürgersöhne sei angemerkt, dass das damalige Bier in der Regel einen deutlich geringeren Alkoholanteil hatte als heute. Anders als die Bürgerschützen bekamen sie ja auch nur eine halbe und keine ganze Tonne Bier. Bürgerschützen wie Bürgersöhne veranstalteten aber gleichermaßen ein Vogelschießen. Das belegt ein Eintrag aus dem Jahr 1565/66, der außerdem die von der Stadt gestiftete halbe Tonne Bier einen alten Brauch nennt. Auch die Bürgersöhne konnten also schon Mitte des 16. Jahrhunderts auf eine längere Tradition zurückblicken. Aber führt sie wirklich zurück auf das Jahr 1372? Belege dafür oder überhaupt für eine Belagerung der Stadt in diesem Jahr gibt es nicht. Möglich ist es dennoch.

Quellen und Literatur

  • Stadtarchiv Lingen, Altes Archiv, Nr. 5496.
  • Stadtarchiv Lingen, Sammlung Notgeld, Nr. 1.
  • Diepenbrock, Sabine: Die Lingener Kivelinge. Entwicklung einer Junggesellenschützenvereinigung zu einem Heimatverein. Vereinsgeschichtliche Aspekte aus sechs Jahrhunderten, Lingen 2005.
  • Ehbrecht, Wilfried: Lingen (Deutscher Städteatlas, Lieferung II Nr. 8), Dortmund 1979.
  • Ehbrecht, Wilfried: Lingens städtische Entwicklung im Spätmittelalter, in: Remling, Ludwig (Hg.): Im Bannkreis Habsburgischer Politik. Stadt und Herrschaft Lingen im 15. und 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Lingener Geschichte), Bielefeld 1997, S.11-50.
  • Taubken, Hans: Kivelinge und Schützen in den Lingener Stadtrechnungen 1549-1567. Eine neue Quelle zur Geschichte der Kivelinge, in: Kivelingszeitung 1978, S. 15-17.


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