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Archivalie – August 2017

Spatzenkrieg

Im Namen Friedrichs des Großen ruft die Mindener Kammer den Lingener Magistrat 1763 zur Ablieferung von Sperlingsköpfen auf.

Im 18. Jahrhundert gehörte Lingen zu Preußen, und 1744 befahl Friedrich der Große, überall in Preußen die Sperlinge zu töten. Jeder sollte innerhalb einer bestimmten Frist eine gewisse Zahl von Sperlingsköpfen abliefern. Über die Mindener Kriegs- und Domänenkammer erhielten auch die Lingener den Befehl.

1763 erreichte den Magistrat in Lingen erneut ein königlicher Aufruf zum Spatzenkrieg. Trotz ihrer Verfolgung hätten sich die schädlichen Spatzen in den Gärten und Feldern so sehr vermehrt, dass nun jeder Einwohner innerhalb von vierzehn Tagen zwanzig Spatzenköpfe abzuliefern hätte. Wer dem nicht nachkomme, müsse nun nicht mehr drei Pfennig, sondern einen Reichstaler Strafe zahlen. Da war die Aufregung groß. Der Lingener Drost schrieb an den König zurück, dass die Untertanen dem unmöglich nachkommen könnten. Schließlich würden die Sperlinge gerade erst anfangen zu brüten. Zwar habe man schon am vorigen Nachmittag überall mit dem Schießen angefangen, doch befürchtete der Drost, dass „da der Hausman bei Abfeurung eines Gewehrs nicht die gehörige Sorgfalt gebrauchet, hie und da ein Unglück geschehen mögte“. Da die Leute ohnehin nicht alle Vögel kennen würden, lieferten sie auch die Köpfe von Speise- und Jagdvögeln ab. Im Übrigen sei die Strafe so hoch und die Frist so kurz angesetzt, dass man die Verarmung insbesondere der Heuerleute fürchten müsse. Das vom König vorgegebene Soll wurde nicht erfüllt. Und so wurde der Befehl fünf Jahre später mit allem Nachdruck wiederholt. „Bey Vermeidung Unserer höchsten Ungnade“ sollten nun endlich die schuldigen Sperlingsköpfe und auch Krähenklauen abgeliefert werden.

1778 musste sich dann auch der Magistrat für das Ausbleiben der Köpfe rechtfertigen. So sehr es auch zu wünschen wäre, „daß die sich täglich zum größten Nachtheil der Feldfrüchte vermehrende Sperlinge vertilget und ausgerottet werden“, so wenig wäre dem Magistrat ein ausreichendes Mittel bekannt, wenn man nicht wieder das Schießen erlauben wollte. Das aber wäre in den Gärten in und um der Stadt „mit vieler gefahr“ verbunden. Postwendend kam die Antwort. Da die Anzahl der Sperlinge in der Stadt und damit auch der Schaden an den Garten- und Feldfrüchten stetig zunähme, wurde allen in und nahe der Stadt Lingen befohlen, binnen sechs Wochen ihre Häuser und Dächer so dicht zu machen, dass Spatzen darunter weder ihre Nester machen noch im Winter dort unterkommen könnten. Jedes an einem Haus entdeckte Spatzennest kostete einen Reichstaler Strafe zu Gunsten desjenigen, der es anzeigte.

Daraufhin geschah – gar nichts. 1781 erreichte den Magistrat die Beschwerde, dass nicht das geringste gegen die Vögel unternommen worden wäre. Der Magistrat solle die Verordnung endlich „strictissime“ und „bei der härtesten Verantwortung“ umsetzen. Zugleich wurde dem reformierten Priester aufgegeben, die untersten Steine des Kirchendaches, worunter jährlich unzählige Sperlinge ausgebrütet wurden, mit Kalk oder Ton abzudichten. Wieder geschah nichts, und ein weiteres Jahr später musste erneut auf Umsetzung des Befehl gedrungen werden.
1783 schließlich forderte die königliche Kammer ultimativ zur Einhaltung aller bisherigen Verordnungen auf. Man habe „mißfällig wahrnehmen müssen, daß diesen unseren Verordnungen nicht im geringsten befolget werden, und die Sperlinge hingegen dergestalt sich vermehren, daß fast an allen Häusern diese schädliche Vögel ihre Nester ungestöhret bauen.“ Insbesondere sollten binnen acht Tagen das Dach der reformierten Kirche und des Professorenhauses von Nestern befreit und dicht gemacht werden. Doch auch diesmal scheinen die Resultate bescheiden gewesen zu sein, denn nur fünf Jahre später kam erneut der königliche Befehl, die „Nester dieser so schädlichen Thiere“ an privaten und öffentlichen Häusern, an Kirchen und Schulen zu vernichten. Ein gewisser Berend Overhuß erhielt daraufhin den Auftrag, das Kollegienhaus von sämtlichen Nestern zu säubern. Er will dafür mehr als neun Tage gebraucht haben und forderte nun über drei Reichstaler Lohn.

Tatsächlich dürften die Kosten und der hohe Aufwand ein wesentlicher Grund für die Verweigerungshaltung der Lingener gewesen sein. Dadurch taten sie unbewusst aber wohl genau das Richtige. Denn die Spatzenkriege hatten eine unbedachte Folge. Dort, wo es tatsächlich gelang, die Spatzen zu dezimieren, explodierte die Zahl der Insekten.

Quellen und Literatur:

  • Stadtarchiv Lingen, Allgemeine Sammlung, Nr. 636.
  • Stadtarchiv Lingen, Altes Archiv, Nr. 4108.
  • Stadtarchiv Lingen, Ev.-Ref. Kirchenarchiv (Dep.), Nr. 1201.
  • Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung, Nr. 20313.
  • Kumerloeve, H.: „Spatzenkrieg“ in Lingen, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 6 (1959), S. 53-61.


Fotos v.o.n.u.: Stadtarchiv, Stadtarchiv