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Die Geschichte Lingens

Der ursprüngliche Siedlungsschwerpunkt im Raum Lingen lag im heutigen Altenlingen. Der Bischof von Osnabrück besaß dort vor der Jahrtausendwende in der Nähe eines Emsübergangs eine Grundherrschaft. Was diesen Ort interessant machte, war seine Lage im überörtlichen Verkehrsnetz. Von Jütland herkommend überquerte hier die Flämische Straße die Ems. Sie traf dabei auf die Friesische Straße, die dem Fluß folgend Westfalen mit der Nordseeküste verband. Hinzu kam der Verkehr auf der Ems. Diese war das ganze Mittelalter hindurch mindestens bis Meppen, häufig auch bis Rheine schiffbar.

Im Jahre 975 trug Bischof Liudolf von Osnabrück dem mit ihm verwandten Kaiser Otto II. seinen Grundbesitz in Lingen zu Lehen auf in der darüber ausgestellten Urkunde wird der Name Lingen (Liinga) erstmals erwähnt. Unter Kaiser Lothar III. (1125 - 1137) wurden die Grafen von Tecklenburg im Raum Lingen Nachbarn des Bischofs von Osnabrück. Sie zogen sich jedoch schon bald aus der Furtsiedlung zurück und gründeten 2,5 km flußaufwärts auf dem hochwasserfreien Plateau zwischen Mühlenbach und Ems, wo sie ebenfalls einen Hof besaßen, eine neue Siedlung, auf die der Name Lingen überging. Im Jahre 1150 war diese Entwicklung zu einem gewissen Abschluß gelangt. Die Tecklenburger verkauften in diesem Jahr ihren Hof in der nun Altenlingen genannten Furtsiedlung an den Bischof von Osnabrück. Gleichzeitig mit der Gründung und dem Ausbau der neuen, besser zu verteidigenden Siedlung muß auch die Verlegung des Emsübergangs 4 km flußaufwärts erfolgt sein.

Etwa 1225 plante Graf Otto offensichtlich, das neue Lingen zur Stadt auszubauen. Im Jahre 1227 vereinbarten die gegen ihn verbündeten Bischöfe von Köln und Osnabrück, daß sie nach einem Sieg über den Grafen von Tecklenburg die Einkünfte aus Zoll, Münze und Gericht in Lingen teilen wollten, gleichgültig ob das Dorf Lingen von ihnen zur Stadt gemacht werde oder in seinem jetzigen Zustand verbleibe. Lingen besaß damals also, obwohl es noch Dorf (villa) genannt wurde, bereits städtische Qualitäten. Zu unterscheiden sind zwei Siedlungskerne: die vorstädtische Siedlung in der Nähe der Ems und der südöstlich davon gelegene, wohl burgähnlich befestigte Haupthof. Zu der geplanten Stadtgründung durch die beiden Bündnispartner kam es jedoch nicht. Die Tecklenburger arrangierten sich schon bald mit ihren Gegnern und beließen Lingen in seinem vorstädtischen Zustand.

Erst mit Beginn des 14. Jahrhunderts mehren sich die Anzeichen für eine Weiterentwicklung Lingens zur Stadt. Die Urkunden berichten von einem Markt in Lingen und Lingener Maß. Die Grafen von Osnabrück stellen auswärtigen Kaufleuten Geleitsbriefe für einen ungehinderten Besuch der beiden Lingener Jahrmärkte (1. Mai und 21. Oktober) aus. Im Jahre 1314 war das Lingener Marktrecht Vorbild für den neu eingerichteten Markt in Friesoythe. Parallel dazu erfolgte der Ausbau zum Verwaltungsmittelpunkt. Darauf weist die erste Erwähnung von Lingener Burgmannen (1320) und eines Amtes Lingen (1322) hin.

Die entscheidenden Schritte auf dem Weg zur Stadt machte Lingen in den Jahrzehnten vor der Mitte des 14. Jahrhunderts. Damals dürfte auch die Lücke zwischen der Vorsiedlung nahe der Ems und dem Haupthof geschlossen und der mittelalterliche Grundriß der Stadt mit seinen drei Toren vollendet worden sein. Auf die drei Stadttore nimmt das 1394 erstmals belegte Stadtsiegel Bezug. Eine Stadtrechtsverleihung ist nicht direkt überliefert. Doch wird im Privileg für Bevergern von 1366 an zwei Stellen ausdrücklich auf das an Lingen verliehene Recht hingewiesen. Das Lingener Stadtrecht von 1401 ist keine Erstverleihung, sondern eine Zusammenfassung der seit etwa 1300 gewährten Freiheiten.

Ein weiteres Indiz für die städtischen Qualitäten Lingens im 14. Jahrhundert ist die Ausgestaltung des Kirchenwesens. Pfarrechte werden 1250 erstmals urkundlich erwähnt. Sie stehen zunächst wohl noch mit der Kirche in der Vorsiedlung in Verbindung, gehen jedoch bald auf die spätestens im 14. Jahrhundert auf dem Marktplatz errichtete Walpurgiskirche über. Diese wird im Jahre 1367 bei der Bestätigung der Frühmeßpfründe als ''neue Kirche'' erstmals erwähnt. Eine weitere Kirche, die St. Andreas- Kapelle, gab es im Burgbereich. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstand als bürgerliche Stiftung vor den Toren der Stadt an der Straße nach Haselünne, also an der Flämischen Straße, das St.- Antonius- Gasthaus. Es diente der Versorgung Armer und Kranker und besaß ebenfalls eine Kapelle.

Die städtische Entwicklung Lingens im 14. Jahrhundert ist eingebettet in die Auseinandersetzungen zwischen den Grafen von Tecklenburg und ihren geistlichen Nachbarn, den Fürstbischöfen von Osnabrück und Münster, um den Ausbau ihrer Territorien. Dabei wurden gegen Ende des Jahrhunderts Burg und Stadt Lingen innerhalb weniger Jahre zweimal erobert. Eine Reminiszenz an diese bewegte Zeit ist das Kivelingsfest, das die Lingener Jugend seit Jahrhunderten feiert. Es wird auf eine Belagerung der Stadt im Jahre 1372 zurückgeführt.

Damals seien, als Not am Mann war, die ledigen Bürgersöhne zur Verteidigung der Stadt aufgeboten worden. Zusammen mit den Burgmannen hätten sie erfolgreich den Feind abgewehrt. Doch die Tapferkeit der Lingener Bürger konnte das Blatt nicht wenden. Die Grafen von Tecklenburg mußten sich schließlich nach jahrzehntelangem Kampf geschlagen geben und verloren im Jahre 1400 den größten Teil ihrer Besitzungen.

Lingen, Burgstraße mit dem Amtsgericht.Lingen, das lange Zeit am Rande des tecklenburgischen Machtbereichs gelegen hatte, erfuhr durch den Frieden von 1400 eine starke Aufwertung. Der Kontroll- und Stützpunkt an der Ems war die einzige Stadt von Bedeutung in dem geschrumpften Territorium. Graf Nikolaus II. trug dem auch sogleich Rechnung. Am 2. Februar 1401 bestätigte er der Stadt Lingen all jene Privilegien, die bereits seine Vorfahren der Bürgerschaft verliehen hatten. Ein Jahr später überschrieb er seiner Frau die Burg Lingen als Witwensitz. Der gräfliche Hof hielt sich fortan des öfteren in Lingen auf, was den Ausbau der Burg zu einer Nebenresidenz förderte.

Über die Bevölkerungsstruktur und die wirtschaftlichen Verhältnisse im spätmittelalterlichen Lingen sind mangels Quellen nur vage Angaben möglich. Die Stadt zählte ca. 100 bürgerliche Häuser. Die Einwohnerschaft setzte sich aus der Geistlichkeit, den Burgmannen, Händlern und Handwerkern sowie einer nicht geringen Zahl Landwirtschaft treibender Haushalte zusammen. Gildebriefe der Handwerker sind erst vom Ende des 16. Jahrhunderts überliefert, doch darf von Zusammenschlüssen der für die unmittelbare Versorgung notwendigen Handwerke ausgegangen werden. Durch die Verlegung der Friesischen Straße auf das linke Emsufer lief der Fernhandel überwiegend an Lingen vorbei. Der Lingener Markt schrumpfte zum Nahmarkt.

Im Spätmittelalter floß die Ems so nahe an Lingen vorbei, daß bei Überschwemmungen Gefahr für die Stadt zu befürchten war. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts wurde deshalb oberhalb von Lingen ein Durchstich gegraben, so daß sich die Ems weiter westlich in größerer Entfernung von der Stadt ein neues Bett suchte.

Infolge von Familienstreitigkeiten kam es gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu einer Teilung der Grafschaft Tecklenburg. Graf Nikolaus IV. residierte ab 1498 zusammen mit seiner Mutter auf der Burg in Lingen. Eine unruhige Zeit begann. Da Graf Nikolaus den Rückgang des Handels in der Stadt durch Überfälle auf Kaufleute in den benachbarten Territorien auszugleichen suchte, eroberte der Bischof von Münster 1518 Stadt und Burg Lingen und hielt das Land ein Jahr lang besetzt. Der geflohene Graf Nikolaus fand zunächst Unterstützung bei Herzog Johann von Kleve. 1526 trug er Herzog Karl von Geldern sein Land als Lehen sowie Stadt und Burg Lingen als ''offenes Haus'' auf.

Mit dem Tode Graf Nikolaus IV. im Jahre 1541 endete Lingens Zeit als Residenzstadt. Unter seinem Nachfolger Graf Konrad I. wurden die verschiedenen Teile der Grafschaft Tecklenburg wieder in einer Hand vereinigt. Der neue Landesherr führte in Lingen das lutherische Bekenntnis ein und verwandte große Mühe und Anstrengungen auf den Ausbau der Befestigungslagen. Der Marktplatz der Stadt erhielt unter ihm seine heutige Form. Die Walpurgiskirche und mehrere Burgmannshöfe wurden eingelegt, um das Schußfeld vor der Burg zu verbessern.

Doch die Herrschaft Graf Konrads über Lingen war nur von kurzer Dauer. Da er sich dem Schmalkaldischen Bund angeschlossen und damit gegen Kaiser Karl V. gestellt hatte, wurden Stadt und Burg Lingen Anfang des Jahres 1547 von kaiserlichen Truppen erobert. Lingen und weitere 13 Kirchspiele wurden von der Grafschaft Tecklenburg abgetrennt und gingen in den Besitz des kaiserlichen Heerführers Maximilian Graf von Büren über. Sie bildeten fortan die Herrschaft oder Grafschaft Lingen. Im Jahre 1548 wurde Lingen von einem Stadtbrand heimgesucht, dem auch das Rathaus und die ältere schriftliche Überlieferung zum Opfer fielen.

Mit dem Übergang Lingens an Maximilian Graf von Büren hatte die unruhigste Epoche in der Geschichte Lingens begonnen. In den folgenden drei Jahrhunderten wechselte die Stadt mehr als zehn Mal die Landesherrschaft. Zunächst gehörte Lingen zum Königreich Spanien, später zu den Vereinigten Niederlanden; kurze Zeit hatte es auch der Bischof von Münster in Besitz (1672 - 1674). Im 18. Jahrhundert war der König von Preußen Landesherr über Lingen. Im 19. Jahrhundert wechselten sich Frankreich, Preußen und das Königreich Hannover in der Herrschaft ab. Mehrfach war mit dem Wechsel des Landesherrn auch ein Konfessionswechsel verbunden.

Graf Maximilians Erbtochter Anna verkaufte im Jahre 1551, bevor sie sich mit dem Prinzen Wilhelm von Oranien verheiratete, die Herrschaft Lingen für 120.000 Goldgulden an Kaiser Karl V. Dieser gliederte das neu erworbene Land seinen burgundischen Besitzungen in den Niederlanden ein. Mit Lingen besaß der Kaiser einen Wachtposten an der Ems und zugleich einen wichtigen Ausgangspunkt für politische, militärische und wirtschaftliche Aktivitäten in Nordwestdeutschland.

Als Karl V. im Jahre 1555 abdankte und die habsburgischen Länder an seine Söhne aufteilte, fielen die Niederlande und damit auch die Stadt Lingen an König Philipp II. von Spanien. Die Stadt an der Ems war damit zum östlichen Außenposten des spanischen Weltreiches geworden. Für eineinhalb Jahrhunderte schied sie faktisch aus dem Deutschen Reich aus und teilte das Schicksal der Niederlande.
 
Im spanisch- niederländischen Krieg (1568-1648) war Lingen lange Zeit heiß umkämpft und wechselte mehrfach den Besitzer. Für beide Parteien war es ein wichtiger Brückenkopf bei der Eroberung der östlichen Niederlande. Stadt und Burg Lingen wurden ein halbes Jahrhundert lang nach den neuesten, mehrfach sich ändernden Konzeptionen der Belagerungskunst zu einer der bedeutendsten Festungen in Nordwestdeutschland ausgebaut. Der Eroberung durch die Niederländer im Jahre 1597 folgte 1605 die Rückeroberung durch die Spanier. Mehrere Jahrzehnte lang lag in der Stadt eine starke Garnison. Zeitweise waren es über 2.000 Soldaten, die in der etwa 1.200 Einwohner und 180 Häuser zählenden Stadt einquartiert waren.

Als sich das Kriegsgeschehen mehr in den Süden verlagerte und Lingen dadurch zunehmend an strategischer Bedeutung verlor, stimmte die spanische Regierung in Brüssel 1632 der Neutralisierung Lingens zu. Die Festung wurde innerhalb weniger Monate geschleift, und Anfang 1633 ging Lingen in den Besitz des Prinzen von Oranien über. Von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges blieb die Stadt fortan weitgehend verschont.

Die Zeit der oranischen Herrschaft über Lingen dauerte etwa sieben Jahrzehnte. Sie bedeutete für die Stadt eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und eines regen Austausches mit den benachbarten niederländischen Provinzen. Zeugnisse dieser Epoche sind eine Reihe repräsentativer, teilweise heute noch das Stadtbild prägender Bauten, die damals von Lingener Bürgern oder landesherrlichen Beamten errichtet wurden.

Weniger Erfolg hatten die oranischen Landesherren mit ihrer Religionspolitik. Ihr Versuch, die mehrheitlich katholische Bevölkerung der Stadt auf dem Verordnungsweg und durch obrigkeitliche Zwangsmaßnahmen dem reformierten Bekenntnis zuzuführen, scheiterte. Doch mit den dabei geschaffenen Bildungseinrichtungen setzten sie wichtige Akzente für die weitere Entwicklung Lingens. Die bereits vorhandene Lateinschule wurde auf vier Klassen erweitert und für sie in den Jahren 1678-1680 ein geräumiges Schulgebäude mit entsprechenden Klassenräumen und einem großen Auditonum geschaffen. Der besseren Unterbringung von Lehrern und Schülern diente das 1684/85 erbaute Seminarium. 1697 wurde schließlich das Gymnasium academicum feierlich eröffnet. Die Lingener ,,Universität'' entsprach dem Typ einer reformierten Hohen Schule mit vier Fakultäten, aber ohne Promotionsrecht. Lingen hatte dadurch ein Bildungssystem in seinen Mauern, mit dem es die meisten Städte vergleichbarer Größe weit übertraf. Die wirtschaftliche Situation der Bürger besserte sich vor allem durch die Universität merklich.

Nach dem Tod des kinderlosen Prinzen Wilhelm III. von Oranien fiel Lingen an den König von Preußen. Die Stadt an der Ems wurde Verwaltungsmittelpunkt für die seit 1707 wiedervereinigten Grafschaften Lingen und Tecklenburg.

Der Wechsel der Landesherrschaft bedeutete zwar ein Ende der politischen, jedoch keineswegs der wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zu den Niederlanden. Noch längere Zeit war Niederländisch in Kirche und Schule, aber auch im Alltag die vorherrschende Sprache. Die Studenten der Universität, teilweise auch die Professoren kamen zunächst weiterhin überwiegend aus den Niederlanden. Umgekehrt wanderten zahlreiche junge Lingener in das wirtschaftlich besser entwickelte Nachbarland aus und ließen sich dort nieder. In den Heiratsregistern der Stadt Amsterdam sind z.B. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts insgesamt 325 Männer und 478 Frauen aus Lingen als Ehepartner verzeichnet. Der holländische Gulden war die in Lingen gängige Währung. In den Sommer- und Herbstmonaten passierten täglich bisweilen 1.000 und mehr Saisonarbeiter, sogenannte Hollandgänger, den Emsübergang bei Lingen. Sie kamen aus ganz Nordwestdeutschland und verdienten als Saisonarbeiter in den Niederlanden ihren Lebensunterhalt.

Auf konfessionellem Gebiet brachte die preußische Toleranzpolitik einen allmählichen Wandel. 1717 wurde den Katholiken der Gottesdienst in Privathäusern gestattet, woraufhin sie noch im gleichen Jahr an der Burgstraße eine einfache Kirche ohne Turm bauten. Die Zeit, in der sie für ihre religiösen Verrichtungen in das benachbarte zum Fürstbistum Münster gehörende Darme ausweichen mußten, hatte ein Ende. Die 1728 gegründete lutherische Kirchengemeinde, zu der vor allem Beamte zählten, konnte 1737 ihre neben der Lateinschule neu erbaute Kirche einweihen. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hatte ein jüdischer Haushalt Wohnrecht in Lingen. Als Begräbnisplatz der Juden in der Grafschaft Lingen diente der sogenannte Judenberg, eine Sanddüne in der Nähe des christlichen Friedhofs.

Die Bevölkerung Lingens wuchs im 18. Jahrhundert nur geringfügig. Im Jahre 1720 hatte die Stadt 1.721 Einwohner, 1803 gegen Ende der preußischen Zeit wurden 1.775 Bewohner gezählt. Die wirtschaftlichen Grundlagen der Stadt waren der Durchgangsverkehr und die Universität, Handel und Handwerk sowie in geringerem Umfang auch die Landwirtschaft. 1720 dominierten bei den Gewerben die Weber (39 Haushalte) sowie die Brauer und Gastwirte (23 Haushalte). Der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten nahm zu. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts fanden jährlich acht Vieh- und Krammärkte in Lingen statt.

Nach den Napoleonischen Kriegen wurde Lingen 1815 dem Königreich Hannover zugeschlagen. An der stagnierenden Entwicklung der Stadt änderte sich zunächst wenig. Die Universität wurde 1819 aufgehoben; an ihre Stelle trat 1820 ein Humanistisches Gymnasium. Von 1834 - 1837 war Lingen Garnisonstadt. Die neu erbauten, schon bald längere Zeit leerstehenden Kasernen wurden ab 1854 als Frauengefängnis genutzt. Der Ausbau der Chausseen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestätigte zwar Lingens Rolle als Knotenpunkt überregionaler Verkehrswege, brachte jedoch ebenso wenig neue Impulse wie der Bau des hannoverschen Emskanals (1820 - 1829), der Lingen über Meppen mit dem Seehafen Emden verbinden sollte. Ein Zeitgenosse schrieb, daß Lingen eine Kaserne ohne Soldaten und einen Hafen ohne Schiffe habe.

Im konfessionellen Bereich brachte der Übergang an das Königreich Hannover 1822 die Gleichstellung der Katholiken mit den bisher bevorrechtigten Reformierten und Lutheranern. Neben der baufälligen Scheunenkirche entstand 1833 - 1836 nach den Plänen des Architekten Niehaus die neue katholische Stadtpfarrkirche St. Bonifatius. Die Zahl der jüdischen Familien nahm seit Beginn des 19. Jahrhunderts langsam aber stetig zu. 1869 wurde die Synagogengemeinde Lingen errichtet, 1878 die neu erbaute Synagoge eingeweiht.

Der entscheidende Impuls im wirtschaftlichen Bereich war der Anschluß Lingens an das überregionale Eisenbahnnetz im Jahre 1856. Zwar kam der wichtige Eisenbahnknotenpunkt ins benachbarte Rheine, doch erhielt Lingen als Ausgleich eine Eisenbahnwerkstätte. Sie wurde durch mehrfache Erweiterung zum bedeutendsten Industriebetrieb in Lingen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Belegschaft auf über 1.000 Beschäftigte. Zeitweilig lebte jeder dritte Lingener vom Ausbesserungswerk, wie der Betrieb später genannt wurde.

Der wirtschaftliche Aufschwung, den Lingen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte, spiegelt sich deutlich in den Einwohnerzahlen wieder. Während die Bevölkerung der Stadt von 1803 bis 1848 lediglich auf 2.736 Einwohner wuchs, waren es im Jahre 1900 bereits 7.048 Einwohner. 1920 hatte Lingen 11.000 Einwohner.

Der von externen Faktoren ausgelöste Wachstumsschub führte zu tiefgreifenden Veränderungen der Gestalt und Infrastruktur der Stadt. Neue Schulen mußten gebaut, soziale Einrichtungen geschaffen werden (1855 Gründung und 1891 Erweiterung des Bonifatius-Hospitals). Für die Stadtverwaltung wurde 1873 am Marktplatz ein neues Dienstgebäude angekauft, die ersten öffentlichen Versorgungseinrichtungen entstanden (1861 Gaswerk, 1891 Beginn der Kanalisation, 1892 Städtischer Schlachthof, 1908 Wasserwerk). Die Wohnbebauung, die sich bislang überwiegend auf den Bereich innerhalb des alten Stadtgrabens beschränkt hatte, griff längs der Ausfallstraßen und östlich der Stadt weit in das Umland hinein.

Neben dem Ausbesserungswerk konnte sich im 19. Jahrhundert in Lingen kein weiteres großes Unternehmen entwickeln. Es entstanden jedoch mehrere kleinere verarbeitende Betriebe, die zusammen mit dem prosperierenden Handwerk und den verschiedenen staatlichen Behörden für zahlreiche Arbeitsplätze sorgten. Die Kreisstadt Lingen wurde zum wirtschaftlichen Zentrum des gesamten Emslandes. Uberregionale Bedeutung erlangte der Lingener Viehmarkt, auf dem sich in vierzehntägigem Turnus Viehhändler aus ganz Norddeutschland und Westfalen einfanden.

Die Jahre nach dem 1. Weltkrieg markieren einen deutlichen Einschnitt in der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der Stadt. Die Zahl der Arbeitslosen war hoch, da es im Ausbesserungswerk mehrfach zu Massenentlassungen kam. Durch genossenschaftlichen Wohnungsbau versuchten die Stadtväter, die Wohnungsnot und die Arbeitslosigkeit zu lindern. Am 1. Juni 1927 wurde Lingen von einem Wirbelsturm heimgesucht, der innerhalb weniger Minuten großen Schaden anrichtete. Eine etwa 100 m breite Schneise der Verwüstung zog sich quer durch die Stadt.

Lingen war in der Weimarer Zeit die einzige Stadt im Emsland, in der die Arbeiterbewegung eine feste Basis hatte. SPD und KPD errangen bei den Kommunalwahlen stets achtbare Erfolge, konnten die solide Zentrumsmehrheit jedoch nicht gefährden. Die NSDAP blieb auch im März 1933 weit unter dem Reichsdurchschnitt.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde ein 25jähriger Medizinstudent zum Oberhaupt der Stadt ernannt. Lingen hatte damals den jüngsten Bürgermeister in ganz Deutschland. 1934 wurde Lingen wieder Garnisonstadt; zwischen Ems und Kanal entstanden im Stadtteil Reuschberge ausgedehnte Kasernenanlagen, die 1935 bezogen wurden. 1936 und 1937 errang der Lingener Autorennfahrer Bernd Rosemeyer seine größten Erfolge. Beim Versuch, seine im Vorjahr aufgestellten Weltrekorde zu verbessern, verunglückte er am 28. Januar 1938 tödlich. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fiel die Lingener Synagoge der nationalsozialistischen Zerstörungswut zum Opfer.

Von den Auswirkungen des alliierten Luftkriegs blieb Lingen lange Zeit weitgehend verschont. Größere Schäden richteten die Angriffe am 21. Februar und 21. November 1944 an. Über 60 Bewohner der Stadt wurden dabei getötet. Anfang April 1945 setzten sich Wehrmachtseinheiten in Lingen fest, um die alliierten Truppen an der Überquerung von Ems und Dortmund- Ems- Kanal zu hindern. In der drei Tage lang heftig umkämpften Stadt wurden zahlreiche Gebäude stark beschädigt. 118 deutsche Soldaten und 27 Zivilpersonen fanden den Tod.
In den ersten Nachkriegsjahren war die Beseitigung der Wohnungsnot das größte Problem. Im Norden und Westen der Stadt entstanden neue Siedlungen. Allein in den Jahren 1948 - 1954 wurden 1.600 Wohnungseinheiten erstellt. Die Zahl der Einwohner stieg innerhalb von zwei Jahrzehnten fast auf das Doppelte (1945:13.632 Einw., 1965: 26.442 Einw.). Der Ausbau der städtischen Infrastruktur konnte mit dieser Entwicklung kaum Schritt halten. Nur mit Verzögerung und unter großen Schwierigkeiten konnten die erforderlichen Schulen, Straßen und öffentlichen Versorgungseinrichtungen gebaut werden, da die Steuerkraft der Stadt zu gering war.

Dabei hatte die wirtschaftliche Entwicklung durchaus vielversprechend begonnen. Bereits nach kurzer Zeit wurden im Eisenbahn- Ausbesserungswerk die Beschäftigtenzahlen der Vorkriegsjahre wieder erreicht. 1948 ließ sich die Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft, eine Tochter der Salzgitter AG, in Lingen nieder. Mehrere mittelständische Betriebe wurden neu gegründet und erlebten eine rasche Aufwärtsentwicklung. 1956 zog die Bundeswehr in die ehemaligen Wehrmachtskasernen ein, Lingen war wieder Garnisonstadt.

Doch der wirtschaftliche Aufschwung hielt nicht an. Er stieß schon bald in dem nur 1.195 ha großen Stadtgebiet - im wörtlichen Sinn - an seine Grenzen. Da Gewerbeflächen fehlten, wanderten mehrere expandierende Betriebe in Umlandgemeinden ab. Die neue Erdölraffinerie Emsland entstand vor den Toren der Stadt im benachbarten Holthausen (Produktionsbeginn 1954). Hinzu kam, daß seit Beginn der fünfziger Jahre im Eisenbahn- Ausbesserungswerk die Belegschaft kontinuierlich verringert wurde.

Einen Ausweg aus dieser prekären Situation brachte der freiwillige Zusammenschluß mehrerer Umlandgemeinden mit der Stadt Lingen im Jahre 1969 sowie weitere Eingemeindungen im Rahmen der Gebietsreform von 1974. Das Stadtgebiet umfaßte nun eine Fläche von 15.836 ha mit 46.607 Einwohnern. Außerdem kam die Stadt als Bundesausbauort in den Genuß erheblicher Fördermittel. Zwar ging bei der Kreisreform 1977 der Kreissitz verloren, doch wurde Lingen als Ersatz der Status einer ''Großen selbständigen Stadt'' zuerkannt.
Die kommunale Neugliederung des Raumes Lingen und die Wirtschaftsförderung durch Land und Bund waren die Initialzündung zu einer deutlichen und nachhaltigen Verbesserung der finanziellen Situation der Stadt. Ausgedehnte Industrie- und Gewerbegebiete konnten ausgewiesen werden. Durch die Neuansiedlung von Betrieben entstanden zahlreiche neue Arbeitsplätze. Vor allem im Energiebereich erlangte Lingen überregionale Bedeutung. Als Nachfolger des 1968 bis 1979 betriebenen Kernkraftwerks Lingen entstanden seit den 70er Jahren drei Kraftwerksblöcke auf Erdgasbasis und das Kernkraftwerk Emsland, das 1988 ans Netz ging.

Dank der enormen Steigerung der Finanzkraft der Stadt konnten nun erhebliche Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt werden. Im Vordergrund standen dabei die bislang zu kurz gekommenen Bereiche Stadtsanierung und Kultur, Sport und Freizeit. Lingens Innenstadt gewann unübersehbar an Attraktivität, der Erlebnis- und Freizeitwert der Stadt nahm deutlich zu.



Fotos v.o.n.u.: Stadtarchiv